Kaum eine Emotion wird so missverstanden wie Wut. Darf ich sie haben? Wie kann ich mit ihr umgehen? Wie komme ich an sie heran? Es braucht wahrlich Mut, ihr im Kern bewusst zu begegnen, um zu fühlen welche Kraft und Lebensenergie im Ursprung dahinter steckt. 

Wut und Trauma – wo kommt die Wut her?

Menschen die traumatische Erfahrungen gemacht haben, tragen Wut in sich. Das ist verständlich, denn ein Trauma ist emotionaler Stress, der nicht verarbeitet wurde, eine Situation der Überforderung, wo dir etwas zu viel war, wo du dich wehren wolltest, es aber nicht konntest. Der Impuls hat dich überwältigt, entweder weil er zu schnell kam oder jemand zu stark war. Der Körper macht sich bereit zuzuschlagen oder wegzulaufen. Ist er in der Situation jedoch zu beidem nicht in der Lage, muss er die Energie, die er für sein Überleben bereitgestellt hat, einfrieren und erstarrt in Ohnmacht, im sogenannten Todstellreflex. Man spricht hier typischerweise vom Fight-Flight-or-Freeze-Modus. Wenn du magst, kannst du dir einen Tiger vorstellen, wie er sich an seine Beute heranpirscht und kurz vor seinem Sprung, friert seine gesamte Energie ein. Das macht deutlich, wie viel Energie in so einem Moment im Körper festgehalten wird und wir bleiben auf Wut, einer Überlebenswut sitzen.

Rage

Menschen, die eine frühe Traumatisierung erlebt haben, wie z.B. eine schwere Geburt, Ablehnung und Vernachlässigung, sitzen nicht nur auf Wut, sondern auf Rage. Rage ist noch instinkthafter als Wut und besitzt eine zerstörerische Vernichtungsenergie. Rage wird daher noch stärker festgehalten, weil die Angst zu groß ist, jemand könnte sterben, wenn sie durchbricht, gleich einem Atomkraftwerk, das explodiert und verbrannte Erde hinterlässt. Wir dürfen fühlen und verstehen, dass wenn ein Baby mit all seiner Lebendigkeit zurückgewiesen wird, nicht ankommen zu dürfen in dieser Welt, in Wut umgewandelt wird. Diese Energie wird in einem inneren Kern festgehalten. Sie befindet sich nicht im Körper, sondern wird noch weiter nach innen gezogen. 

Die Wut wieder in den Körper bringen

Wut ist in erster Linie Energie. Wenn du wütend bist oder dir vorstellst wütend zu sein, atme und fühle diese Energie. Probiere aus, wie es sich anfühlt, wenn sich diese Energie in dir, in deinem Körper verteilen darf. Wenn du gut damit sein kannst, geh weiter. Lass die Energie sich ausbreiten und beginne dich zu bewegen, deine Tigerkrallen auszufahren, Grimassen zu ziehen, Laute von dir zu geben, zu stampfen und dich zu schütteln. Erlaube dir ganz körperlich zu werden. Wenn du magst, stell dir vor, du zerschlägst etwas oder trommelst wie ein Dreijähriger voller Wut mit den Fäusten auf dem Boden (Kissen). Wenn du deinen Körper weiter fühlst, erreichst du die Ebene des Stammhirns. Dort sind die Traumata gespeichert. Während du eintauchst, bist du gleichzeitig auch Beobachter. In der Bewegung befreit und baut sich das Adrenalin und im Nervensystem gespeicherte Stress ab. Vielleicht spürst du, dass sich der Raum in dir öffnet und weiter wird. Falls es dir dabei nicht gut geht, brich die Übung ab. Lauf auf der Stelle, atme tief durch, orientiere dich im Raum und sorge gut für dich. Ansonsten kannst du dranbleiben. Dies ist eine Möglichkeit, die Wut einfach mal da sein zu lassen. Stell dir vor, (mit einem Schwert) wirklich etwas zu zerschlagen und auch erfolgreich zu zerschlagen und spüre in jeder Zelle deines Körpers, was du tust. Unglaubliche Mengen an aufgestauter Energie kann sich auf gute Weise bahnen und befreien. Dieser tiefgreifende Reinigungsprozess bewirkt, dass dein Körper nicht länger mehr auf Schmerzen, Ängsten und Depressionen hocken bleibt. 

Nein ist ein vollständiger Satz

Die unaushaltbaren Erfahrungen aus unserer Biografie, in denen der Wille und die Ausdruckskraft des Lebens gebrochen wurde, führt entweder zur Rebellion oder dazu, dass wir uns über Gebühr anpassen (sie zeigt sich in Form einer traumabasierten Hypersensibilität). Wenn in der Kindheit dein Umfeld nicht sicher war, weil Mutter oder Vater entweder depressiv oder aggressiv war, verlassen wir unsere eigenen Schuhe und stellen uns zu früh in die Schuhe des anderen. Wir schauen ganz genau, was braucht der andere, damit es ihm gut geht, um die Situation möglichst stabil zu halten. In dem Wunsch alle Unwägbarkeiten auszubalancieren und um Gefahr abzuwenden, spüren wir unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht mehr. Selbst als Erwachsener sind wir dann immer noch wie in einem Automatismus mit unserer Aufmerksamkeit beim anderen. Das Schutzprogramm des geliebten Kindes ist angeschaltet, wenn du immer empathisch und nett bist, immer lächelst und immer Verständnis für den anderen hast. Es verhindert, dass du dich in deinen eigenen Schuhen spürst.  Was fühlst du, wenn du dir erlaubst, du selbst zu sein, frei von allen Glaubenssätzen und auferlegten Masken?  Alle Anteile, die wir einst abgespalten haben, können wir wieder zu uns nach Hause holen, so dass wir nicht mehr getrennt, sondern vollständig in unserem Seelenhaus, unserem Körper, beheimatet und verbunden sind.

Mutige Verwandlung der Wut

Vor zwei Wochen hatte ich einen Traum. Ich bin mit meinem Hund unterwegs und wir treffen auf ein Tier, eine gefährliche Mischung von Schäferhund und Wolf. Er ist aggressiv, fletscht seine Zähne und ist bereit, augenblicklich meinen Hund in der Luft zu zerfleischen. Die Besitzerin weist mich energisch an, „Nehmen sie ihren Hund zurück!!!“ Doch mein Hund lässt sich durch nichts beirren, ohne zu zögern geht er direkt auf ihn zu, schnüffelt schnurstracks an seinen Genitalien, wie Hunde das so machen und in der Sekunde lässt sich der Hund auf die Seite fallen und die beiden sind mit ihren Mäulern innig ineinander verschlungen. Das Fell ist vom Speichel getränkt. Der fremde Hund hebt seine Beine, so dass sein Bauch sichtbar wird, der rot aufleuchtet und mein Hund pinkelt seinen Bauch an. Es ist eine außerordentliche Gebärde von Intimität und Verbundenheit. Ich wache auf und bin geflasht von der Intensität des Traumes. Ich schlafe wieder ein und träume exakt diesen Traum ein zweites Mal. Das ist mir noch nie passiert. Die Bedeutung des Traumes ist wie ein Ausrufezeichen und ich erinnere mich an die Geschichte, die ein Tag zuvor der Kursleiter im Seminar erzählte. Er steht in einer Übung einer zierlichen, kleinen Frau gegenüber. Sie soll nur dastehen, ihr Herz öffnen und Liebe aussenden. Er ist mit einem Holzschwert bewaffnet, bereit sie zu vernichten, rennt auf sie los, doch zwei Meter vor ihr bricht er mit Schmerzen in sich zusammen, außerstande zu töten. Diese Geschichte ist mein Traum, nur mit anderen Vorzeichen. Die Liebe im Traum hält nicht nur passiv-abwartend den Raum, sondern sie geht pro-aktiv direkt auf die Aggression zu. Ich Petra, die in bedrohlichen Situationen oder Lebensgefahr immer ohnmächtig erstarrte, sich hilflos ausgeliefert fühlte und nicht in der Lage war zu handeln, bekomme diesen kraftvollen Traum geschenkt. Er ist die Antwort. Jede verzweifelte Wut oder Aggression ist ein Aufschrei nach Unversehrtheit, Liebe und Anerkennung, verbunden mit dem tiefen Wunsch, gesehen zu werden. Wenn die Liebe den Schmerz und das darin verborgene Trauma berührt und durchdringt, schmelzen alle Widerstände und Mauern und die Angst wird selbst zur Liebe. Ich bin immer noch sprachlos und unendlich dankbar für diesen kostbaren Traum.

Fühle deine Wut-Kraft im Alltag

Die Wut führt mich nicht nur zu meinen inneren Verletzungen, sondern sie zeigt mir auch all meine Kraft, die ich vielleicht ein Leben lang gedeckelt habe. Menschen leben heute nur einen Bruchteil von ihrer eigenen Kraft. In unserer Welt herrscht eine künstliche, lähmende Stille. Es ist so viel da, was nicht gesagt wird. So viel, was nicht ausgedrückt wird. So viel was nicht sein darf, wie es ist. In einer Welt voller Mauern und wo es darum geht, allein gut zu funktionieren und zu tun, was verlangt wird ohne zu meckern und aufzumucken, da ist unsere gesunde Wut oftmals der Moment wo wir sagen: „Mir reicht’s! Ich schlage einen neuen Weg ein. Ich möchte mein Leben bewusst gestalten.“ Es ist die Tigerkraft, die in unserem Inneren wieder lebendig wird mit ihrem tiefen inneren Potenzial, das sich entfalten will. Wenn du magst, stell dich breitbeinig hin und sage: „Hier bin ich!“. Gib energisch deinen Alltagsbewegungen deine „Krieger-Energie“ zum Beispiel, wenn du bewusst kaust, wenn du stehst, wenn du gehst, wenn du Obst und Gemüse schneidest, wenn du sprichst… Zeig dich der Welt in deiner ganzen Körperpräsenz und Aufrichtung. Sprich deine innere Wahrheit. Gehe kraftvoll deinen Weg in die Freiheit, voller Liebe und Weisheit und dem Wissen, du bist zutiefst geliebt. Du kannst sie fühlen und spüren in jedem einzelnen Moment, sogar wenn der Wind deine Haut berührt, wenn das Licht sich durch die Wolken bricht, ein Vogel singt, wenn sich die Einheitsenergie, die Wärme, das Bewusstsein, die Liebe und die Weisheit von Himmel und Erde sich in dir vereinigt und dein Herz sich mehr und mehr weitet und zu leuchten beginnt. Liebe ist die größte spirituelle Aufgabe, die jeder von uns gestellt bekommt. Es ist der einzige Weg, der uns nach Hause bringt.