Menschen denken oft negativ über das Alter und Hand aufs Herz – was kommt dir spontan in den Sinn wenn du an das Älterwerden denkst? Sind es Begriffe wie „gebrechlich, senil, hilfebedürftig, unflexibel und griesgrämig“? Oder eher Eigenschaften wie „weise, gütig, frei, fit und aktiv“?  Siehst du vor allem die Verluste oder siehst du auch mögliche Gewinne und wertvolles Heilpotential? Ältere Menschen mit einem positiven Selbstbild trauen sich mehr zu, bleiben körperlich aktiver oder beteiligen sich mehr an sozialen Aktivitäten, als jene mit einem negativen Selbstbild. Manche Menschen fühlen sich mit fünfzig, sechzig schon alt, wohingegen andere mit achtzig noch mitten im Leben stehen. Welche Vorstellungen du auch immer mit dem Älterwerden verbindest – unterschätze nicht, wie sehr wir unseren eigenen Alterungsprozess beeinflussen können. Eine lebensbejahende, positive Grundhaltung hilft uns gesund zu bleiben und unser Leben sogar zu verlängern. C. Saunders spricht daher die segensvolle Einladung aus: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ 
Ich sehe noch heute die lachenden Augen meiner Freundin, als ein neunzig-jähriger Mann sie vergnüglich einen „Jungen Hüpfer“ nannte, die ganze zwanzig Jahre jünger ist als er. Für das Glück dieser Erde sind wir nie zu alt.

Jedem Alter wohnt ein Zauber inne

Jede Lebensphase hat ihre ureigenen Qualitäten und Möglichkeiten. Muss ein Mensch mit achtzig oder neunzig wirklich noch so funktionieren wie mit vierzig oder fünfzig? Wie wohltuend ist der Gedanke, sich nicht mehr mit den Standards junger Erwachsenen messen zu müssen, wo es häufig nur um Leistung und Erfolg geht. Welche Lebensqualität bahnt sich an, wenn wir aus dem Hamsterrad aussteigen und uns entscheiden, die Dinge zu tun, die uns Freude, Sinn und Muße schenken? Ohne Zeit-, Leistungs- und Erwartungsdruck können wir unser eigenes Tempo finden und im Hier und Jetzt balanciert aufblühen. Im Alter lernen wir unseren Körper neu zu entdecken und unsere Körpergrenzen immer wieder neu auszuloten. Wir spüren, dass der Körper sich verändert und langsamer wird. Alterung ist ein Prozess und keine Krankheit. Der Abbau unserer körperlichen Fähigkeiten ist Teil unserer Lebendigkeit. Doch viel zu selten fühlen wir diese tiefe Verbundenheit von Werden und Vergehen – eingebettet im natürlichen Kreislauf des Lebens. Alles Lebendige entzieht sich der wertenden Waagschale von Gerechtigkeit und Fairness. Der Vergänglichkeit wollen wir entkommen. Tod und Geburt ist zu einem Abstraktum geworden, mit dem wir uns lieber steril-medizinisch auseinandersetzten und lassen das spirituelle Erleben lieber außen vor.

Seelengeflüster

Wenn wir älter werden, sehen wir tiefer. In den länger werdenden Regenerationszeiten wendet sich der Blick herzwärts. Rückblickend können wir erkennen, wie wir mit uns umgegangen sind und wie es um unsere Selbstfürsorge steht (und stand). Bis zuletzt können wir unser Potential der Heilung voll ausschöpfen. Wenn unsere Wege immer kürzer werden oder wir Krankheiten durchleben, verändert sich unser Blickwinkel auf die Endlichkeit. Jeder dieser kleinen und größeren Schritte des Loslassens sind eine Stütze, die uns helfen den Übergang willkommen zu heißen und sie bereiten uns für den Weg über die große Schwelle vor. Jeder Alterungsschub bringt uns ein Stück näher zu unserem Kern. Er zeigt sich vor allem dann, wenn wir nicht mehr abgelenkt werden (können). Das Verdrängen funktioniert im Alter nicht mehr so gut und die Schichten zu unserer Seele werden durchlässiger. Die beste Altersvorsorge, die wir uns selbst schenken können, ist, uns so früh wie möglich mit all den verdrängten Gefühlen und Schattenseiten des Lebens vertraut zu machen. Es braucht Mut um innerlich aufgeräumt und versöhnlich älter werden zu können – und ganz ohne Schmerzen geht es wohl nicht. Doch kannst du deine Lebensgeschichte mit Liebe und Wertschätzung betrachten und deinen Körper in diesen Prozess mit einbinden? Solange wir im Widerstand sind, der Jugend nachtrauern, uns beklagen, bemitleiden und das Älterwerden nicht akzeptieren und annehmen, können wir unser Leben nicht im Frieden vollenden. Wie der Regentropfen, der bereit ist sich vertrauensvoll aus dem Himmel fallenzulassen, erfahren wir in der bedingungslosen Hingabe, das Aufgefangen sein in Gottes Hände und die unermessliche Liebe unserer Seele. Sie altert nicht. Sie ist verschwenderisch, grenzenlos und unerschöpflich.

Ich hör nicht auf, ich fang erst an

Je älter wir werden, umso „erdiger“ – mineralischer – werden wir. Vereinfacht ausgedrückt besteht unser Körper aus Wasser, Luft, Proteinen und Mineralien. Das Skelett eines Babys besteht hauptsächlich aus Knorpel. Die Mineralisierung der Knochen beginnt, sobald wir mit der Schwerkraft in Berührung kommen und uns bewegen und Laufen lernen. Im Alter verändert sich die Struktur der Knochen abermals. Sie werden kristalliner. Sie brechen leichter, da sie verkalken und versteifen. Wenn wir unserem Körper über Jahre hinweg keine Aufmerksamkeit geschenkt haben, wird sich das im Alter ändern. Wir werden körperlicher, spüren uns deutlicher und werden präsenter. Das ist so ähnlich wie in der Kleinkindzeit, wo alles neu entdeckt und ausprobiert werden muss, um Fähigkeiten zu entwickeln. Wir fürchten im Alter die Kontrolle zu verlieren, doch de facto haben wir sie sowieso nicht. Das Leben folgt mitunter seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich der Logik unseres Verstandes entzieht. Daher ist es so wertvoll, so früh wie möglich eine engagiert-innige und vertrauensvolle Beziehung zu unserem Körper aufzubauen und mit einem warmherzigen Blick auf all unsere Unvollkommenheiten zu schauen. Egal was kommt, wir neugierig und offen bleiben für neue Erfahrungen, wir selbst im Angesicht des Todes sagen können: „Und das ist erst der Anfang…!“

Verbundenheit mit der eigenen Körperweisheit

Kulturell vorgefertigte Prägungen und Ansichten in unserer Gesellschaft beeinflussen unserer Gedanken in puncto Älterwerden, die häufig in einem schmerzlichen Ausdruck von Selbstmissachtung landen: • Ich bin nicht mehr effektiv und leistungsfähig • Ich bin alt, dick und hässlich • Ich bin krank, alles tut weh • Ich habe kein Vertrauen zu meinem Körper • Ich bin unsicher • Ich will nicht altern Immer wenn wir destruktiv über uns selbst sprechen dürfen wir das Geschenk unserer Körperweisheit annehmen. Insbesondere dann, wenn wir viel auf uns allein gestellt sind, können wir unsere Identität zartfühlend durchleuchten und milde werden. Bitte denke daran, dass jede gnadenlose Selbstkritik ein Cocktail von Stresshormonen in die Blutbahn kippt. Dein Nervensystem kommt in eine Art „Überlebens-Modus“, der häufig schmerzhafte Muskelverspannungen und andere Symptome auslöst. Dein Körper antwortet und räsoniert untrennbar auf deine Innenwelt. Selbstsabotage und jede Form von negativer Selbstsuggestion verbraucht unnötige Lebenskraft. Aus der Verbundenheit heraus wird der Selbstausdruck jedoch würdevoll und wertschätzend. Der Wandel geschieht manchmal, wenn ich Menschen in meiner Praxis berühre und sie in einen nährenden Kontakt mit sich selbst kommen. Neue Sichtweisen und Überzeugungen klingen voller Wohlwollen zum Beispiel so: • Ich habe in meinem Leben schon so viel geleistet • Ich fühle Dankbarkeit für meinen Körper • Mein Leben ist reich an Erfahrungen • Ich nehme mir mehr Raum und Zeit für mich • Ich genieße den Augenblick • Ich gehe in meinem Tempo • Von innen her fühle ich mich jünger, schöner und gesünder als noch vor Jahren • Ich bin gelassen und ein bisschen weiser geworden • Ich ruhe in mir selbst Wir können uns gemeinsam an diesen Ort der Geborgenheit führen.

Die herbstbunte Aufbruchszeit

Gibt es Dinge, die du schon immer mal tun wolltest? Möchtest du Neues ausprobieren, den gewohnten Alltagstrott verlassen und dich verabschieden von den Meinungen und dem Zuspruch der anderen? Lass uns auf Entdeckungsreise gehen und die Lebendigkeit feiern und… • Barfuss über eine Wiese laufen • Unbekannte Menschen ansprechen und kennenlernen • Bei einer Vollmondnacht nackt im See schwimmen • In den vorüberziehenden Wolken geheimnisvolle Kreaturen entdecken • Den Regen küssen und seinen frischen Duft genießen • Spontan den nächsten Flug in den Süden nehmen • Deine künstlerische und/oder musische Ader ausleben • Eine Fremdsprache lernen • Einen Pfannkuchen mit süßem Kinderriegel braten • Etwas undenkbar Verrücktes tun • Dich ganz bunt anziehen • Tanzen. Einfach tanzen. • Deinem Körper (endlich) jede Woche eine ausführliche Massageeinheit gönnen … Dir fallen vermutlich noch ganz andere Sachen ein, die genau deinen Bedürfnissen entsprechen.

Die Liebe kennt kein Ablaufdatum

Selbst im fortgeschrittenen Alter können wir uns neu verlieben. Eine bestehende Partnerschaft festigen und erfüllende Sexualität erleben. Sexualität ist ein Ausdruck von Lebensfreude und Vitalität und braucht im Alter kein Tabu sein. Gerade im Alter ist Berührung, Körperkontakt und Nähe so wichtig. „Am Ende bleiben nur noch Knochen übrig und die Frage, wie sehr sie geliebt haben – wie sehr du geliebt hast.“ – Tala Mojaheri Bild von ThuyHaBich auf Pixabay