Spielräume des Blicks – Wie unsere Augen die Welt und uns selbst formen
Wir sehen – ständig. Doch wie oft schauen wir wirklich? Und wie bewusst ist uns, dass unser Blick nicht nur Wahrnehmung, sondern auch Wirkung erzeugt?
Die Augen sind mehr als ein Sinnesorgan. Sie sind Verbindungspunkt zwischen Innen und Außen, zwischen Aufmerksamkeit und Haltung. In stressigen Momenten verengen wir unbewusst unseren Fokus: die Stirn spannt sich an, der Blick fixiert. Der Körper folgt. Unser ganzes System schaltet auf Leistung, Kontrolle, Schutz.
Das ist hilfreich – manchmal. Aber auf Dauer raubt uns dieser Tunnelblick nicht nur Energie, sondern auch Kreativität, Offenheit und Verbindung.
Blickräume sind Denkräume
Wie wir schauen, beeinflusst, was wir denken. Und umgekehrt. Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio beschreibt, dass emotionale Zustände nicht im luftleeren Raum entstehen – sie haben körperliche Resonanz. Der angespannte Nacken, der sich vorlagert, wenn wir „etwas im Blick behalten“ wollen, ist mehr als eine Haltung: Er ist Ausdruck unseres inneren Zustands.
Doch der Blick kann sich auch weiten. Wir können üben, „mit weichen Augen“ zu sehen – rezeptiv, empfangend, offen für das, was ist. In diesem Zustand wird Sehen zum Erleben. Plötzlich nehmen wir Farben, Formen, Licht und Leben wieder wahr – und mit ihnen neue Möglichkeiten.
Von der Kontrolle zur Präsenz
Ein weiter, entspannter Blick schafft Spielraum – nicht nur im Sehen, sondern auch im Denken, Fühlen, Handeln. Er ist weniger darauf aus, etwas zu greifen, sondern lässt sich berühren, inspirieren. In dieser Haltung wird der Blick zum Spiegel innerer Verbundenheit.
Dabei spielt auch unser Nervensystem eine zentrale Rolle.
Die Polyvagal-Theorie des Neurobiologen Stephen Porges beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem auf Sicherheit oder Bedrohung reagiert. In einem regulierten Zustand – dem sogenannten ventral-vagalen Zustand – ist unser Blick offen, weich, verbunden. Wir nehmen Kontakt wahr, wir fühlen uns zugehörig.
In Stress (sympathisch) oder Rückzug (dorsal-vagal) hingegen verengen sich nicht nur Körperhaltung und Atem, sondern auch der Blick. Unsere Wahrnehmung wird selektiv, fokussiert auf Gefahr, Kontrolle, Schutz. Der Körper spannt sich an – und mit ihm unsere Welt.
Die Therapeutin Deb Dana hat dafür einen einfachen, aber kraftvollen Satz geprägt:
„Story follows state.“
Unsere Geschichte über die Welt ergibt sich aus unserem inneren Zustand.
Wer sich sicher fühlt, sieht Möglichkeiten. Wer sich bedroht fühlt, sieht Gefahren.
Das bedeutet auch:
Ein weiter, freundlicher Blick kann nicht nur Wahrnehmung verändern – sondern auch Regulation fördern. Und umgekehrt.
Diesen Zusammenhang kennt man aus vielen Erfahrungsfeldern:
In Körpertherapie, Coaching oder meditativer Praxis zeigt sich immer wieder, wie kraftvoll der Blick ist – nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Wer seinen Blick weitet, findet oft Zugang zu anderen inneren Räumen: zu Intuition, Kreativität, Mitgefühl, Verbindung.
„Ich sehe dich“ wird dann mehr als eine Feststellung.
Es wird zur Einladung – zum Anerkennen, zum Dasein, zum Menschsein.
🌿 Augen-Mentastic für den Alltag
Vielleicht magst du heute – oder irgendwann zwischendurch – einen kleinen Moment lang die Augen schließen.
Spürst du, wie deine Augäpfel in ihren Höhlen ruhen?
Lass sie ganz weich werden – als dürften sie in ein wattiges, warmes Nest sinken.
Vielleicht beginnt ein Hauch von Anspannung zu schmelzen.
Vielleicht entsteht ein feiner innerer Raum, ganz still.
Während die Augen loslassen, darf auch der Kopf wieder zurück in seine Mitte finden – weich im Nacken, ausbalanciert aufgerichtet auf deiner Wirbelsäule.
Der Blick muss nichts festhalten, nichts kontrollieren.
Und wenn du die Augen wieder öffnest:
Wie fühlt sich die Welt an?
Vielleicht ist da Weite.
Vielleicht ist da ein neuer Blick – empfangend, klar, verbunden.
Ein Augenblick der Wahrheit
In einer Zeit, die oft von Reizüberflutung und Daueranspannung geprägt ist, brauchen wir solche Blickräume mehr denn je. Nicht, um uns abzuwenden – sondern um anders hinzuschauen. Spielerischer, weiter, menschlicher.
Vielleicht ist es das, was mit einem einfachen Satz beginnt:
Vorhang auf.
Du kannst den Podcast hören oder hier Lesen:
Vorhang auf – Mit neuen Augen sehen
Die Augen erblicken das Licht der Welt. Jeder Augenblick ist ein Geschenk – das Hier und Jetzt zu erfahren.
Unsere Blicke treffen sich. Blicke sagen mehr als tausend Worte. Sie sind das Sprachrohr unserer Seele. Sie lügen nicht, sind unmittelbar und unmissverständlich. Sie schenken Vertrauen – oder lassen dich vor Schreck erschauern. Sie sind durchdringend, bohrend oder sie funkeln und leuchten mitten ins Herz.
Die Augen können auch nach etwas „greifen“, sich angestrengt auf eine Sache fokussiert fixieren.
Wie fühlt sich ein enger Tunnelblick an?
Weitblick und Handlungsspielraum verengen sich. Spannung und Stress steigen an. Wenn mein Blick etwas ergreifen will – mit Wollen, Kraft und Macht –, wird es eng in meinem Nacken. Alles zieht sich zusammen, der Kopf lagert sich nach vorn und ruht nicht mehr gelassen im Lot auf meiner Wirbelsäule.
Doch wie ist es, wenn mein Blickfeld weit, weich und empfangend wird? Spannung löst sich. Die Versorgungsbahnen zu meinem Gehirn können frei fließen. Ich bejahe, was ist und komme bei mir an.
Das Licht fällt sanft in mich hinein. Ich empfange die Formen, die Farben – die Schönheit des Lebens wird zum Augenschmaus, eine Augenweide der Freude. Ich sehe dich.
Ein lösungsorientierter, kreativer, verbundener Blick lässt mich aufatmen, vermittelt Einblicke – und Ausblicke.
Ich sehe die Welt mit neuen Augen.
Was siehst du? 🌿
Ich freue mich, wenn du deine Gedanken, Erfahrungen oder Assoziationen in den Kommentaren teilst.
Was ich sehe? Dich meine liebe Petra und all die wunderbaren Anleitungen. Genieße sehr, mit weichen Augen zu sehen – eine neue Erfahrung, auch wenn ich viel schon mit Augen arbeite und anleite, aber das ist auf den Punkt gebracht!! LG Rosi